Horse boy method – Movement method
Ich möchte hier von etwas berichten, was ich erst kürzlich gelernt habe und wahrlich wunderhaft finde, obwohl es auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen basiert.
Es handelt sich um eine Methode, die von einem Vater eines autistischen Jungen entwickelt wurde. Er folgte ihm in seine innere Erlebenswelt und in seinen Bedürfnissen und ermöglichte seinem Sohn dadurch zu lernen. Die Horse boy method und Movement method helfen aber nicht nur Autisten! Sie sind sehr erfolgreichbei Menschen mit Lerneinschränkungen/Lernschwierigkeiten, Angstzuständen, Depressionen, oder eben auch ein echter Gewinn für alle Kinder im Lernprozess. Autistischen Kindern hilft es, sich zu öffnen, zu lernen, mit der Außenwelt zu kommunizieren, mit sich und der Welt in Verbindung zu sein und ‚ins Reine‘ zu kommen. Und dies alles dank Bewegung und Glückgefühlen, wenn möglich in der Natur.
Kurzer Einschub: Was ist Autismus?
Autismus ist unterschiedlich und vielfältig. Man spricht von einer Autismus-Spektrumsstörung. Die Bandbreite umfasst ebenso hochfunktionale Menschen mit sogenannten Inselbegabungen, wie auch Kinder, mit Lerneinschränkungen, Kinder mit und ohne Sprache. ‚Auto‘ kommt aus dem Griechischen und heißt ‚Selbst‘ – Autisten sind im Prinzip in sich selbst eingeschlossen und haben große Schwierigkeiten, einen Kontakt zur Außenwelt herzustellen. Dabei kommt es zu Lernstörungen, weil sie keine Informationen und Anregungen von außen aufnehmen können, sondern diese aufgrund von Stressattacken abwehren. Es wird daher oft verkannt, dass Autisten eine große Intelligenz aufweisen können, die ggf. verloren geht. Wenn es gut geht, kann sie stattdessen gefördert werden. Bei einer guten ganzheitlichen Therapie kann Autisten ein normales Leben ermöglicht werden. Oft haben Autisten eine Inselbegabung wie z.B. ein ausgeprägtes Talent im mathematischen Bereich oder auch für eine Sprache. Ein Autist, der hier auf dem Hof, auf dem ich gerade lebe eine Pferdetherapie bekommt hat, z.B. ein besonderes Faible für Englisch und kann unglaublich viele englische Liedtexte auswendig.
Zur Drumherum-Geschichte: Eigentlich befinde ich mich gerade auf einem Hof in der Nähe von Münster, der gerne Permakultur anfangen möchte. Das ist allerdings noch in den Kinderschuhen, auch wenn die Energie dafür sehr gut ist und ich bin sehr sicher, dass hier in absehbarer Zukunft etwas sehr Gutes und Schönes in diese Richtung entstehen wird.

Was hat das mit dem Glücksthema zu tun? Etwas ganz Wunderbares, was hier schon stattfindet, ist, dass die Frau des Hauses das Angebot „Förderung mit dem Pferd“ aufgebaut hat, der sich nach und nach immer mehr in eine sanftere, menschen- und tierliebende Richtung entwickelt hat.
Das ist einfach augenöffnend und in vielen Momenten erhebend mitzuerleben. Wir können respektvoll, gut und liebevoll mit Tieren als Partner (Arbeits-/Lebens-/Lern-/Sport-) umgehen, statt den handelsüblichen Militärton anzuwenden.
Und: Wir können damit Menschen mit kognitiven Bedarfen helfen, diese bis zu einem gewissen Grad zu überwinden und Situationen ‚umzudrehen‘, in die für zu sie schrecklich waren.
Gitti, unsere Frau vom Fach in diesem Zusammenhang, die FarmersfrauJ erzählte mir gleich beim ersten Treffen von berührenden Momenten, in denen Autisten ihrer Mutter das erste Mal in die Augen schauten oder das erste Mal redeten. Eine Angst’patientin‘ kam in der Zeit, in der ich jetzt hier bin und brach beim Anfangssmalltalk in Tränen aus. Nach der Reitstunde, in der sie das erste Mal galoppierte, strahlte sie und bedankte sich überschwänglich. Gitti arbeitet jedoch mit einem sehr breiten Spektrum von therapeutischen Möglichkeiten, von denen die Horse boy-Methode ein Element darstellt.

So, worum geht es dabei? Natürlich macht ein Umgang mit der Natur, wozu reiten ganz klar gehört, den Menschen glücklich, weil wir ein Teil von ihr sind und es sein wollen. Es auch fühlen wollen. Wohingegen unsere Zivilisationstechniken uns immer mehr von dieser entfernen. Aber es geht noch um mehr.
Derjenige, der die Horse boy-method entdeckt hat, ist der heute durchaus bekannte/berühmte Rupert Isaacson. Vor dieser Entdeckung war Rupert Journalist und Autor und hat sich erfolgreich für die Landrechte von indigenen Völkern eingesetzt.

Ruperts damalige Frau Kristin brachte 2001 einen autistischen Sohn zur Welt. Sie probierten die gängigen Therapie-Methoden aus – nichts half. Das Leben war anstrengend, kräftezehrend. Rupert gab sein Hobby Reiten auf, der mögliche Kontakt zu Pferden auf dem eigenen Hof wäre für Rowan, dem Sohn, ein viel zu großes Risiko – so die Annahme.
Bis Rowan sich eines Tages genau gegen diese Annahme entschied. Mit sechs Jahren lief er in einem unbeaufsichtigten Moment weg, zum Nachbarhof und direkt in die Mitte der Pferdegruppe, zur Leitstute ‚Betsy‘, die nicht dafür bekannt war ein besonders sanftes Wesen zu haben. Was jedoch passierte war, dass sie Rowan von den anderen Pferde abschirmte und ihm ‚Unterschlupf‘ gewährte.
Als Rupert die Szene erreichte, war klar, dass keine Gefahr bestand. Im Gegenteil, Rowan streckte die Arme aus, um zu signalisieren, dass er auf das Pferd gesetzt werden wollte. Auf dem Rücken des Pferdes legte er sich lang und entspannt hin – dies ist durchaus keine normale Position für Reiter, ganz und gar nicht, viele Reiter hätten vor einer solchen Situation ohne Sattel, Equipment und Kontrolle Angst. Rowan atmete tief und entspannt durch und seine stressbedingten, stereotypen Bewegungen hörten von einem Moment zum anderen auf.
Ab diesem Moment begann Ruperts und Rowans Leben zu einem großen Teil auf dem Pferd stattzufinden und zwar zusammen. Rupert, der Reiter gewesen war, organisierte einen Sattel, auf dem beide Platz hatten.
Hier ein Bild davon, wobei das Kind auf diesem Foto neurotypisch ‚normal‘ ist (ich setze hier ‚normal‘ in Anführungsstriche, weil es in vielen Situationen ein fruchtbarer Boden zum Nachdenken ist, infrage zu stellen, was ‚normal‘ ist).

Rupert und Rowan verbrachten von da an, ca. 3 – 4 Stunden zusammen im Sattel, im Schritt, im Trab und im Galopp. Rowan begann zum ersten Mal in seinem Leben mit eigenem Ausdruck zu reden und sagte Wörter, von denen Rupert nicht geahnt hätte, dass er sie kannte. So war sein erstes Wort ‚heron‘, zu Deutsch Fischreiher. Während Autisten das sogenannte Echolalien beherrschen können, d.h. ohne Verständnis Wörter zu wiederholen, die vorher gesagt wurden, ist die richtige Kontaktaufnahme zur Außenwelt wesentlich schwieriger. Dies liegt daran, dass bei Autisten das Stresshormon Cortisol übermäßig ausgeschüttet wird, da ihr Organismus hochsensibel auf äußere Störungen reagiert. Meist sind es menschengemachte Reize wie Lärm durch Maschinen, laute Musik, großer Trubel durch Menschenmassen, komische Gerüche oder Lichter, die Stress für einen Autisten auslösen.
Diese Trigger wirken sich auf eine Gehirnregion aus namens Amygdala, die auf mediale Reize spezialisiert ist und ihren Besitzer lehrt, sich bei Gefahren zu schützen. Sie ruft daher bei Gefahrensituationen körperliche Reaktionen hervor wie Wut, Furcht, Fluchtverhalten. Bei Autisten ist diese Hirnregion besonders ausgeprägt. Als paariges Gebiet beider Gehirn-hälften führt eine Erregung der Amygdala zudem dazu, dass die Gehirnhälften nicht zusammenarbeiten, sondern sich durch negative Emotionen verweigern zu lernen. Erwachsene, die eine Sprache lernen, lernen die Wörter z.B. schwerer, weil sie nicht auf die emotionale Verbindung zum Wort zurückgreifen können. Gleichzeitig führen positive Gefühle dazu, dass gut gelernt werden kann, weil Oxytocin, eines unserer Glückshormone ausgeschüttet wird.
Wie ist der Zusammenhang dieser beider Hormone – Cortisol, the bad guy und Oxytocin, the good guy – mit unserem Körper? Was passiert in unserem Körper bei Ausschüttung des ‚bad guys‘ und wie kriegen wir es hin, mehr Glückshormone genießen zu dürfen?
Cortisol löst eine Stressreaktion im Körper aus. Der Psoas-Muskel spannt sich an, der sich von der mittleren Wirbelsäule durch unser Becken bis an die Oberschenkelköpfe schlängelt. Er wird in eine Position und eine Kraft gebracht, die seinen Besitzer entweder flucht- oder angriffsbereit machtoder ihn in einen erstarrten Zustand versetzt. Bei Autisten passiert dies leider ständig, da sie so sensibel auf verschiedene Reize anspringen. Autisten befinden sich daher ständig, manchmal ununterbrochen – je nach Umgebung – in einem angespannten, stressgeladenen körperlichen Zustand. Sie können gar nicht lernen, geschweige denn Kontakt zur Außenwelt aufnehmen.
Als Rowan Zugang zu Pferden suchte, wusste er wahrscheinlich zunächst nur unterbewusst, warum ihm der Umgang mit diesen Tieren so viel weiterhelfen würde. Zunächst hilft es Autisten immer in der Natur zu sein, eine so naturbelassene, ruhige Umgebung zu haben wie möglich. Zudem, und das ist der Grund, warum ich im ersten Satz das Wort ‚wunderhaft‘ verwendet habe, führt die Bewegung die die menschliche Hüfte macht, wenn sie bei der Bewegung des Pferdes mitgeht dazu, dass der Psoas-Muskel sich entspannt. Endlich bekommt ein Autist das Gefühl von Entspannung und kann loslassen. Der oft so konstante Zustrom an Cortisol hört auf und STATTDESSEN wird Oxytocin, unser Glücksbote produziert. Die Ausschüttung von Oxytocin funktioniert bei Bewegung, bei der das Becken rhythmisch bewegt wird. Dies passiert zum Beispiel beim Sex. Es kann auch bei anderen sportlichen Betätigungen wie z.B. beim Trampolin-Springen der Fall sein oder beim Kippeln auf dem Stuhl, was zeigt, warum Schulkinder dies so gern tun. Wenn man bedenkt, dass sie dabei auch viel besser lernen können, sollte man sie besser lassen, sofern es nicht gefährlich wird. Viel besser wäre natürlich ein Sitzball, auf dem Kinder, aber auch Erwachsene sich bei Sitztätigkeiten trotzdem fröhlich bewegen können.
Fakt ist, dass die Horse boy method, welches Reiten und Lernen auf dem Pferd durchströmt von Oxytocin bedeutet, Autisten als auch für Menschen, bei denen wir eher von mentalen Einschränkungen wie Depressionen, Angststörungen und Ähnlichem sprechen, wahre Entwicklungssprünge bewirken kann.

Rowans erstes Wort auf dem Pferd war ‚Fischreiher‘. Rupert lehrte ihn Mathe, Biologie, Physiologie und vieles mehr auf dem Pferd. Heute kann Rowan Auto fahren, alleine reisen und Botschafter sein für Menschen mit Autismus.
Anders angewandt, also ohne Pferd z.B. in Schulen, wird dieses Konzept überaus erfolgreich angewendet: Bewegung in Kombination mit Lernen, Bewegungsspiele verknüpft mit Mathematik, englischen Texten oder Ähnlichem. Den Kindern können Wahlmöglichkeiten gelassen werden, was sie besonders interessiert, ihre Eigenverantwortung kann gefördert werden und sie lernen, während sie sich bewegen. Lesen – während man schaukelt, Vokabeln lernen beim Balancieren auf einem Balken, Schnitzeljagd mit Inhalten vom Deutschunterricht, Einmaleins auf den Treppenstufen, Tanzen, Singen, Reimen und vieles mehr. Genannt wird diese Form Movement method. Mit Bewegung können emotionale Blockaden gelöst werden und wir Menschen können besser lernen, indem wir positive Gefühle – gepusht durch Oxytocin – mit dem Lernstoff verbinden. Humor ist ein weiterer Helfer! Lachende Kinder lernen besser!
Es macht so sehr Sinn, wenn Kinder rumhampeln, auch wenn sie gerade Rechtschreibung lernen sollen. Wenn sie kippeln, während wir die Erdkugel besprechen. Wenn wir neben dem Trampolin hin- und herlaufen und sie dort Vokabeln abfragen. Selbstverständlich kommt das Erleben in der Natur dem Ganzen auch noch zugute – wir lieben es alle und es entspannt uns im Wald zu sein, neben einem Bach zu laufen, Vogelgezwitscher statt Autolärm zu hören, usw.
Ich wusste das alles nicht, aber für die aufwändigste Klausur, die ich in meinem Biologie-Studium geschrieben habe, bin ich auch ständig draußen mit meinen Karteikarten herumgewandert. Reiten wäre wahrscheinlich noch besser gewesen, aber ich habe bestanden.
Ein ganz toller Ort, wo die Horse boy-Methode, die Movement-Methode und in diesem Zusammenhang ganzheitliches therapeutisches Reiten als auch Naturerleben gelebt und gelehrt wird, ist der GreenCare-Hof in Ahlen im Münsterland mit Brigitte (Gitti) und Henrich Berkhoff. Ich kann diesen ehemals landwirtschaftlichen Betrieb, jetzt Aktivstall für Pferde und für therapeutisches Reiten und Natur-Erlebnishof nur allerwärmstens empfehlen! Es herrscht eine sehr freundliche und respektvolle Atmosphäre und sowohl die Reitstunden von Gitti als auch die Waldtrails von Henrich halten, was sie versprechen – eine heilende Wiederentdeckung unserer Beziehung zur Natur, ein dadurch ausgelöstes Geborgenheitsgefühl und Glücksgefühle durch Bewegung.
Und etwas, was Henrich immer wieder gerne erzählt: er bringt Schülern/Innen bei einem Waldtrail durch Ablaufen der Parameter die mathematische Zahl Pi (3,14…) bei und sie vergessen es nie wieder.
Heute wird die Movement method schon an vielen Schulen angewandt. Mit einer dieser Schulen hier in Deutschland hat „meine Wwoofing-Farm“ mit diesem pädagogischen Ansatz eine Kooperation. Die positiven Folgen spürte man richtig schnell vor Ort, weniger Kinder die aufgrund von psychosomatischen Gründen fehlten und die Lehrerfehltage gingen auch zurück. Diese positiven Ergebnisse spiegelte auch eine Masterarbeit, die den Einsatz der Movement Method an dieser Schule wissenschaftlich erfasste, wider. Daher kommt auch die Begeisterung für das Thema ‚Lernen in der Natur und mit den Tieren‘ von den beiden verantwortlichen Menschen auf dem Hof, Henrich und Gitti. Mit diesem Rückenwind und der Überzeugung, dass jedes Kind, jeder Mensch ein großartiges Potential mitbringt, geht der Bauernhof neue Wege aus der konventionellen Landwirtschaft heraus, getragen vom Kreislaufgedanken, der allen Beteiligten Natur, Mensch und Tier gerecht wird. Ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte können hier vereint und damit ein ganzheitliches Nachhaltigkeitskonzept gelebt werden. Und allen geht es gut damit. Ein Schlüssel ist dabei, dass wir mit Freude lernen sollten und diese Zusammenhänge erkennen zu können. Und was ist dafür nicht besser geeignet als die Movement method. Auf dem Hof Berkhoff Beumer heißt dieses Konzept in Zukunft „Green Care Farm“, aber was das ist folgt später…
Zum Weiterverfolgen, ggf. Mitmachen:
https://ntls.co/teachers-schools
https://ntls.co/courses/free-courses/the-sciences-of-learning-2
https://ntls.co/courses/certification-continuous-ed-courses/movement-method-relevant-courses
https://ntls.co/courses/certification-continuous-ed-courses/athena-horse-boy-method-relevant-courses
Ein Kommentar zu “Glücksgefühle für alle”