CO2-Kompensation

Letztens während einer Zugfahrt habe ich aus purer Neugierde mal ausgerechnet, wieviel es kosten würde/könnte, wenn man ihr/sein gesamtes Leben kompensieren wollte in Bezug auf den Ausstoß klimaschädlicher Gase, d.h. auf die eigene Klimaschädlichkeit. Wieviel muss ich bezahlen, um komplett klimaneutral gelebt zu haben?

Ich habe mir den großzügigen Durchschnittswert eines Deutschen geschnappt – 10 Tonnen pro Jahr und ihn bei einem gängigen Kompensationsportal eingegeben: 230,-€. Was? Mehr nicht? Das wären dann in 10 Jahren, leichte Rechnung, 2.300€ und dementsprechend für ein mittleres Alter von 40 Jahren 9.200€. Wenn man davon ausgeht, dass unsereins in unseren Breiten bis zu 80 Jahre alt werden kann, könnte man also sein halbes Leben komplett für circa 4 Monatsgehälter ausgleichen?

Dieses Ergebnis erscheint mir lapidar.

Zum Vergleich wähle ich dagegen die Berechungsgrundlage der Fridays for future: 180,-€ soll nach den Aktivisten 1 Tonne CO2 kosten. Multipliziert mit 10 macht das 1.800€, damit hätten man die Kosten für 1 Jahr eines Deutschen mit unserem 10-Tonnen-Fußabdruck, hochgerechnet auf 10 Jahre wären wir dann bei 18.000€.

Aha, schonmal andere Zahlen!

Das wiederum auf die Hälfte eines Lebens, 40 Jahre, hochgerechnet, macht 72.000€.

Okay – das ist schon eine Summe! Für ein ganzes Leben hätten wir dann 144.000€. Mmh. Könnte man das bezahlen? Wenn man diese (sehr pauschale gerechnete) Idee weiterführt, könnte man davon ausgehen, dass man ab 40 ja nur noch ungefähr 20 weitere Jahre gut bezahlt weiterverdient. Das heißt man müsste die 144.000€ die nächsten 20 Jahre abbezahlen. Wieviel das macht? 600,- im Monat. 600,-€ im Monat 20 Jahre lang.

Das erscheint mir immer noch erstaunlich machbar. Aber das ist die gute Nachricht!

Klimaschutz und -anpassung SIND finanzierbar. Selbst wenn das diese sehr unprofessionell auf einer Zugfahrt runtergekritzelte Rechnung über individuelle Beiträge natürlich nicht richtig abbildet. Es war ein Gedankenexperiment – ich war neugierig. Und wenn man sich soviel mit Nachhaltigkeit, Klimaschutz und -anpassung beschäftigt, im Globalen Norden lebt und zugegebenermaßen schon (mehrere) Flugreisen hinter sich hat, hätte man gerne eine Absolution.

Auch wenn die Kompensation von Klimaschädlichkeit nicht das ultimative Mittel sein darf, weil die Arbeit der Veränderung dann immer noch andere machen müssen, weil der Betrag eventuell viel zu niedrig ist, weil es wie ein Ablasshandel wirken kann und zu weiterführenden klimaschädlichen Handlungen einladen kann, weil damit nicht wirklich an den Grundfesten und den Strukturen unserer Gesellschaft gerüttelt wird,

so kann es doch ein Mittel sein, um Gelder in eine klimafreundliche Richtung zu lenken. Diese Gelder werden eingesetzt für Projekte, die uns als Gesellschaft langfristig klimafreundlich und resilient machen sollen/können/es tun. Klimafreundlich heißt natürlich unseren Impakt, also unseren CO2-Fußabdruck immer mehr zu verringern durch z.B. dem flächendeckenden Ausbau von erneuerbaren Energien, Gebäudedämmung, einer Kreislaufwirtschaft in der Industrie oder auch einer klimafreundlichen statt klimaschädlichen Landwirtschaft, um nur 4 Beispiele zu nennen. Klimaresilient heißt das unsere Systeme, ökologisches als auch soziale und wirtschaftliche, anpassungsfähig werden und Störungen oder sogar Zerstörungen durch Klimafolgen wie Wetterextreme, Stürme, Hurricanes und Ähnliches aushalten können und sie möglichst unbeschadet überstehen.

Wenn man sich eine Plattform sucht, über die man z.B. die letzte Urlaubsreise kompensieren möchte, lohnt es sich, das Portfolio anzugucken. Vielfältige Maßnahmen und Projekte sind auf jeden Fall ein gutes Zeichen, da wir auch im Klimaschutz und der Anpassung viele verschiedene Maßnahmen brauchen, die ineinandergreifen.

Und das wir darin investieren müssen, steht außer Frage. Wie Ottmar Edenhofer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung in einem Vortrag 2015 in der Urania in Berlin klar gemacht hat und der amerikanische Ökonom Peter Singer 2009 in seinem Assessment Report errechnet hat, wird uns ein ungebremstes Klimachaos 20 Mal soviel kosten wie heutige Transformationen. Interessant dazu vielleicht auch: bis Mitte Oktober letzten Jahres wurden 12 Billionen US$ gegen die Corona-Pandemie eingesetzt. Um das Pariser Abkommen einzuhalten wären nach Schätzungen von Wissenschaftlern pro Jahr bis 2024 nur 1,4 Billionen US$ notwendig gewesen (Süddeutsche, 17.10.20), d.h. noch nicht mal 1/8 der Summe, die noch nicht einmal in einem ganzen Jahr gegen die Covid-Pandemie ausgegeben wurde.

Geld kann und muss fließen, aber keine Angst – mit Sicherheit nicht, wie mein Gedankenexperiment oben es ausgerechnet hat. Vielleicht bestellen Sie sich ja eher eine Gemüsebox von der nächsten Solidarischen Landwirtschaft und investieren dabei schon in einen lokalen Strukturwandel.

Veröffentlicht von Christine Heybl

Ich habe zum Thema 'Klimagerechtigkeit' promoviert, Hauptfach Philosophie, Nebenfach Biologie. Ziel war es zum Thema Nachhaltigkeit, herauszuarbeiten, dass durch den Klimawandel Menschenrechtsverletzungen entstehen und wir daher die Verpflichtung haben, in allen Bereichen der Gesellschaft eine nachhaltige, ökologisch-vertretbare Lebensweise einzuführen, die die Menschenrechte aller Individuen sowohl heute als auch in Zukunft möglich macht und schützt. Ich bin sehr Nachhaltigkeitsthemen interessiert, zurzeit v.a. an nachhaltigem Konsum, organischer Landwirtschaft und Permakultur.

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